„Man kann Olympia nicht simulieren!“
Foto FIVB Ihr Olympiasieg hat sich in die Herzen der deutschen Sportfans gebrannt: Julius Brink (34 Jahre) und Jonas Reckermann (37 Jahre) holten in London die erste europäische Goldmedaille im Beach-Volleyball und lösten Begeisterungsstürme aus. Was sie vier Jahre später machen, was sie den deutschen Teams in Rio zutrauen und wie man mit Olympischen Spielen umgeht, sagen sie im Interview.Wie ist eigentlich eure aktuelle Berufsbezeichnung? Olympiasieger a.D.?
Reckermann: „Unbekannt! Das ist in der Tat nicht ganz so leicht, das kann man nicht mit einer Sache beschreiben bei jeden Falls, weil es verschiedene Projekte sind.“
Brink: „Es ist schwierig. Wir sind in paar Dingen gemeinsam aktiv, da trifft es mit Team a.D. ganz gut. Nach dem Karriere-Ende von Jonas und mir sind viele neue Aufgabenfehler dazu gekommen, da stecken wir teils alleine, teils als Team drin. Es war als Sportler einfacher, da konnte man in der Steuererklärung einfach Sportler angeben. Der Ursprung des Ganzen ist aber immer noch das Teamsein, aber die Aufgaben werden immer vielfältiger werden.“
Als ihr nach London weitergemacht habt, hattet ihr da eigentlich Rio 2016 als Ziel?
Reckermann: „Zumindest war das eine wesentliche Motivation überhaupt weiterzumachen! Rio, Copacabana und Beach-Volleyball hat schon Einfluss darauf gehabt. Wir hatten uns aber nicht festgelegt, wir werden vier Jahre antreten. Wir hätten nach dem ersten Jahr eine Entscheidung treffen müssen, geht man es gemeinsam an, hört einer auf oder beide, aber so weit ist es ja nicht gekommen. Aber Rio wäre für mich nochmals eine große Motivation gewesen.“
Hand aufs Herz! Wie gerne wäret ihr als Aktive in Rio dabei gewesen?
Brink: „Zu dem Zeitpunkt, als ich meine Karriere beendet habe, war das ein großes Thema für mich. Wobei ich eigentlich mit dem London-Erfolg so einen Wendepunkt bei mir festgestellt habe. In diesem Moment konnte und wollte ich mich nicht wieder für vier Jahre darauf fixieren, weil es entweder mit Jonas absehbar war, dass es nicht zusammen passieren würde und mit Sebastian Fuchs unklar war, ob es in dieser Form überhaupt funktioniert. Für die Teams, die jetzt in Rio dabei sind, wird es richtig geil, Rio werden gigantisch schöne Spiele vor allem für Beach-Volleyball. Ich wäre auch gerne dabei, ich hatte aber meine olympische Erfahrung in Peking und London.“
Hättet ihr in der Verfassung von 2012 vier Jahre später Chancen auf eine Medaille? Oder hat sich das Spiel so enorm weiter entwickelt?
Reckermann: „Man hört ja immer, dass es sich enorm weiter entwickelt hat. Ja, das stimmt, es gibt noch mehr große Leute, Spieler von der Kleinwüchsigkeit von Julius (1,86 Meter, Anm. d. Red.) sieht man nur noch selten auf der Tour. Aber ich glaube, dass sich die Qualitäten, die wir gezeigt haben, auch andere Teams wie die Polen oder die Italiener haben, die vorne mit dabei sind, auch wenn sie nicht 2,10 Meter sind. Weil sie technisch gut sind, flexibel sind, weil sie sich besondere Dinge einfallen lassen wie wir mit einem variablen Zuspiel. Damit hätte man immer noch eine Chance, vorne mitzuspielen. Wenn ich sehe, dass Gibb/Patterson (USA) vorne mitspielen, dann denke, da wäre man mit dabei. Aber die Weltspitze ist breiter geworden, in London waren es fünf, sechs Teams. Das sind jetzt mehr, gerade aus Europa muss man mehr Teams einbeziehen. Es wäre kein Wunder, wenn nach London wieder ein europäisches Team gewinnen würde. Es ist schon schwieriger geworden, konstant vorne zu landen, trotzdem glaube ich, hätten wir die Qualitäten, um vorne mit dabei zu sein.“
Erklärt mal normalsterblichen Mitteleuropäern das Besondere an Beach-Volleyball und Olympischen Spielen in Rio!
Brink: „Olympische Spiele an sich ist die größte Sportveranstaltung der Welt. Und die trifft nun auf die vielleicht sportlichste Stadt der Welt. Dass sich das ganz gut befruchtet, kann sich jeder vorstellen. Rio ist eine traumhaft schöne Stadt vom Stadtbild und der Attraktivität her, die Brasilianer sind ein offenes, emotionales Volk. Das passt alles ideal auf unsere Sportart wie kein anderer Austragungsort. Abgesehen davon ist unsere Sportart in dem Land die Nummer zwei. Volleyball und Beach-Volleyball, da würde ich keinen Unterschied machen, ist hinter Fußball eine Sportart, bei der du mit jedem auf der Straße drüber sprechen kannst. Die kennen die Superstars, jeder Strand in Ipanema ist voller Beach-Volleyball Felder und nicht mit Fußballtoren. Auch für uns ist das eine schöne Geschichte, weil es für uns das Land ist, wo wir Beach-Volleyball gelernt haben. Natürlich haben wir die ersten Schritte in Deutschland gemacht, und Rio war für viele Jahre unser erster Anlaufpunkt für viele Jahre.“
Die einheimischen Fans sind patriotisch, oder? Die Gegner der Brasilianer werden ausgepfiffen, so habe ich es beim Grand Slam in Rio empfunden!
Reckermann: „Das ist so! Ich will nicht von Unfairness sprechen, aber es ist sicherlich nicht das Gentleman-Publikum wie in London, das auch dem Gegner großen Respekt zollte. Das ist in Brasilien sicherlich anders. Ich habe kürzlich noch mit Markus (Dieckmann, Ex-Partner, Anm. d. Red.) gesprochen über folgende Anekdote. Wir hatten 2004 als erste Europäer das letzte Turnier der World Tour in Rio gewonnen. Am Ende wurden Emanuel/Ricardo (BRA) als Weltranglistenerste ausgezeichnet mit Hymne und allem Drumherum, dann kam unsere Siegerehrung und wir waren uns nicht ganz einig, ob die deutsche Hymne 10 oder 20 Sekunden dauerte. Das wird jetzt in Rio sicherlich anders sein, die Hymnen dürften ausgespielt werden. Aber die Fans stehen hinter den eigenen Teams, es ist ähnlich wie bei uns im Fußball. Es ist nun einmal eine Massensportart, sehr groß und viel in den Medien. Und vielleicht entwickelt sich das dann einfach so. Damit kann man schon umgehen, zumal es auch ein internationales Publikum sein wird.“
Mit Borger/Büthe, Böckermann/Flüggen und Walkenhorst erleben fünf Spielerinnen und Spieler zum ersten Mal Olympische Spiele. Auf was müssen sie sich einstellen?
Brink: „Für viele geht ein Traum in Erfüllung. Cool war es, dass für zwei Teams in Hamburg vor eigenem Publikum die Rio-Teilnahme feststand. Ich glaube, sie können es sich gar nicht vorstellen, welche Größe Olympia mit sich bringt. Dieses easy going, was unsere Sportart ja auch ein wenig auszeichnet, sich mal eben auf dem Trainingscourt einzuschreiben und nochmals eine Stunde zu trainieren oder ein wenig auf dem Eventgelände abzuhängen, das wird nicht möglich sein. Aufgrund der Größe, der Bedeutung unserer Sportart, aufgrund von Sicherheitsgründen usw. Dazu kommt das unglaublich hohe mediale Interesse. Fakt ist: Man kann so etwas nicht simulieren!“
Ihr habt vor euerm Gold-Coup auch einmal an den Spielen teilgenommen. War das hilfreich, um 2012 durchzustarten?
Reckermann: „Absolut! Man kann sich noch so viel ausmalen und im Vorfeld erzählen lassen, was auf jeden Fall richtig ist, um sich so ein klein wenig einen Eindruck zu verschaffen und nicht völlig überrascht zu sein. Aber die Erfahrung ist unbezahlbar, es am eigenen Leib erfahren zu haben. Für uns war es definitiv gut! Ich wusste es aus Athen, Julius aus Peking, was richtig und was wir vielleicht auch falsch gemacht haben. Das haben wir auch sehr bewusst gemacht im Vorfeld von London. Das berühmte Off-Court Verhalten bei so einem Zwölf-Tages-Turnier und dem total ungewohnten Spielrhythmus für Beach-Volleyballer mit einem Spiel alle zwei Tage, damit konnten wir uns auseinandersetzen. Oder die Mensa im Olympischen Dorf mit 3000 anderen Athleten mit Sportlern, die man sonst nur aus dem Fernsehen kennt oder die Sicherheitskontrollen. Man nimmt es einfach gelassener und nicht so als neuen Reiz war – für uns war es hilfreich.“
Der historische, letzte Ballwechsel im VideoAnders gefragt: Kann man überhaupt bei der erstmaligen Teilnahme glänzen und durchstarten?
Brink: „Ja, kann man auf jeden Fall! Z.B. einer unserer Super-Stars im Männer-Bereich, der Amerikaner Phil Dalhausser hat gleich bei seiner ersten Teilnahme Gold gewonnen. Ich habe es nicht geschafft, mich hat es deutlich beeinflusst. Es geht schon, aber es so anzugehen wie ein normales Turnier der Serie funktioniert nicht. Die Vorbereitung im Vorfeld ist wichtig, die Erfahrung der Trainer und des Verbandes sicherlich auch. Wir Deutsche sind da sehr sorgfältig, in Hamburg ist der Rio-Sand z.B. aufgeschüttet, und das ist auch der richtige Weg!“
Was traut ihr den deutschen Teams in Rio zu?
Reckermann: „Den Frauen traue ich zu, im Kampf um die Medaillen eine wichtige Rolle zu spielen. Und zwar beiden Teams. Klar, Laura und Kira sind vielleicht noch eine kleine Stufe über Karla und Britta anzusiedeln, was den Favoritenstatus angeht. Die fahren dahin, und es wäre keine Sensation, wenn sie da etwas mitnehmen. Ich habe auch ein gutes Gefühl, und hoffe, sie sehen es genauso, dass sie da keine Wunder vollbringen müssen. Aber auch Borger/Büthe haben schon bei Großereignissen gezeigt, dass sie eine Medaille holen können wie Silber bei der WM 2013 oder Medaillen bei Grand Slams. Sie sind nicht chancenlos, sind nicht die absoluten Top-Favoritinnen, sind sich aber bewusst, jedes Team schlagen zu können. Das ist eine komfortable Ausgangssituation. Bei den Frauen sind wir sehr gut aufgestellt, und ich bin guter Dinge, dass es sehr weit gehen kann. Bei den Männern wäre es eine große Überraschung, wenn Markus und Lars ins Halbfinale kämen. Sie haben es in der Qualifikation toll gemacht, und es war wichtig, Beim Major in Hamburg auch mal ein Top-Team wie die Polen Fijalek/Prudel geschlagen zu haben. Sie haben Siege bei den Opens geholt, was toll ist, aber bei den Grand Slams waren sie bis dato nicht so weit gekommen. So ein Sieg sollte ihnen Selbstbewusstsein geben, dass etwas möglich ist, wenn alle Top-Teams am Start sind. Und wenn sich die Chance bietet, sind sie auch in der Lage, das zu nutzen. Aber eine Medaille ist nicht wahrscheinlich.“
Ihr werdet in Rio für ARD bzw. ZDF am Start sein. Was werden eure Aufgaben in Rio sein?
Brink: „Ich habe für die ARD drei Aufgabenfehler. Alles, was an Beach-Volleyball irgendwie darstellbar ist, begleite ich: Co-Kommentator, Anmoderation und mein persönliches Ziel ist es, im Sender unsere Sportart so breit und schön wie möglich darzustellen. Dann als Ehemaliger dem Zuschauer dieses olympische Gefühl zu vermitteln, und morgens im Highlight-Block bekomme ich ein Format mit dem Namen „Brinkst Du´s“, wo ich die deutsche Mannschaft auf eine andere Art und Weise portraitiere.“
Reckermann: „Alles, rund um Beach-Volleyball, mache ich. Neben dem TV gibt es auch Live-Streams, da werde ich als Co-Kommentator mithelfen und Erklärstücke machen und auch mal Interviews führen. Und natürlich als ehemaliger Athlet und Olympiasieger allgemeine Beiträge rund um Olympia zu machen, u.a. machen wir einen 360°-Film. Das Ziel ist ein Mehrwert.“
Beratet ihr euch im Vorfeld untereinander und gebt euch auch Tipps trotz der TV-Konkurrenz?
Reckermann: „Das haben wir noch nicht vereinbart, aber letztlich muss man das als Riesenchance für unsere Sportart sehen, dass an jedem Sendetag ein großer Sender mit einem Beach-Volleyball Experten dabei ist. Und es wäre fahrlässig, wenn wir uns nicht gegenseitig unterstützen würden. Julius hat z.B. sehr gute internationale Kontakte in die Szene, und ich habe keine Hemmungen ihn dann zu fragen, ob er mir hilft. Wir sehen beide den Sport im Vordergrund, da wird es kein Abstecken der Claims geben und wir werden sicherlich auch mal beide gemeinsam im Bild zu sehen sein.“
Werdet ihr eigentlich in Brasilien als die Olympiasieger, die den Brasilianern Gold geklaut haben, erkannt?
Reckermann: „Erkennen geht, misshandelt werden wäre schlechter (lacht). Ja, ich denke rund um die Copacabana werden wir sicherlich das ein oder andere Mal erkannt werden. Da setze ich ganz auf die Security und hoffe, es geht glimpflich aus…“
Eure Nachfolger werden gesucht. Wer hat es verdient?
Reckermann: „Verdient hat es erstmals jeder, der es dahin geschafft hat. Letztlich hat es der verdient, der nach sieben Spielen vorne steht. Jeder Olympiasieger ist ein verdienter Olympiasieger. Bei Alison/Bruno (BRA) muss man gucken, wie sie mit dem Druck zurechtkommen, mit den Amerikanern ist zu rechnen, aber auch die Europäer wie Holländer, Italiener und Polen. Es ist echt spannend, gerade bei den Männern. Bei den Frauen haben es natürlich die Deutschen verdient (lacht), aber die Brasilianer mit zwei starken Teams dort, Kerri Walsh muss man immer auf der Rechnung haben, sie weiß, wie es geht. Bei den Frauen spitzt es sich auf drei, vier Nationen zu.“
Und wer wird es?
Brink: „Das ist wirklich schwer zu sagen. Die Top 4, die auch in Hamburg im Halbfinale waren, Ludwig/Walkenhorst, Agatha/Barbara (BRA), Larissa/Talita (BRA) und Walsh/Ross (USA), machen die drei Medaillen unter sich aus, wenn sie ihre Leistung bringen. Bei den Männern ist es total unterschiedlich! Die Italiener (Nicolai/Lupo, Anm. d. Red.) sind Europameister geworden und scheiden in Hamburg nach der Vorrunde aus. Es scheint so, dass die Teams es nicht schaffen, ihre Top-Form zwei Wochen zu halten. Es gibt sehr viele Teams, die Gold holen können. Brasilien, die USA und die Niederlande haben zwei Teams, die Gold holen können. Zu beachten sind die Polen, Russen . Es fällt mir unglaublich schwer, eine Prognose abzugeben. Vielleicht kriegen die Brasilianer Alison/Bruno und Pedro/ einen kleinen Schub durch den Heimvorteil.“
Reckermann: „Ich sage Länder, ohne die Reihenfolge der Medaillen: Bei den Frauen gehen die Medaillen an Deutschland, Brasilien und die USA. Bei den Männern ist es sehr viel offener. Ich glaube trotzdem, dass es mindestens ein brasilianisches Team schafft, den Heimvorteil für sich zu nutzen, die Amerikaner wissen, wie es geht, bei Olympia eine Medaille zu gewinnen und Holland!“