Pionierarbeit im deutschen Sport und Volleyball-Talentschmiede – Das Volleyball-Internat Frankfurt feiert sein 20-jähriges Bestehen
Als Olaf Korf 1985 mit Fußball-Profi Andreas Möller in dieselbe Berufsschulklasse ging, staunte der Fußballer, der bereits damals schon Wohnung, Auto und ein stattliches Salär bekam, nicht schlecht, als ihm der Nachwuchs-Volleyballer sagte, er bekäme keinen einzigen Pfennig und müsse auch noch sein Zimmer selber zahlen. Korf war Mitglied des Volleyball-Internats Frankfurt Höchst, das heute unter dem Namen Volleyball-Internat Frankfurt (VIF) firmiert. Am 8. November 2003 feiert das Internat sein 20-jähriges Bestehen.
Foto: Trainer Günter Hamel, Andreas Einspinner, Ralph Asbar, Holger Wendt, Bernard Hoffmann, Cord Peter Lattmann, Michael Dornheim, Manfred Zirkel, Olaf Korf, Andreas Bock Kai Ketelsen, Thomas Rauschmann, Edgar Krank umrahmen Rally-Weltmeisterin Michele Mouton bei einem Empfang während der Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles
Die kleine Anekdote mit dem späteren Hamburger Bundesligaspieler verdeutlicht, wie sehr sich die Volleyballer zu diesem Projekt bekannten und bekennen und wie viel Investitionsbereitschaft von allen Seiten erbracht wurde und wird.
Das Modell, ein Internat mit jungen talentierten Volleyballern, kam aus Montpellier/Frankreich. Die Franzosen hatten um 1980 ein Internat installiert und damit eine sehr erfolgreiche und sprunghafte Entwicklung ihrer Spieler erzielt. Dessen erinnerte man sich beim DVV, und es war der damalige DVV-Jugend- und Sportwart Günther Ludwig, der die Idee hatte, ein solches Projekt auch für Deutschlands Nachwuchstalente zu gründen. Ludwig hatte selber einen talentierten Sohn (Arndt Ludwig, der jetzt Bundesliga-Trainer beim Dresdner SC ist) und trieb das Projekt mit Hilfe des damaligen DVV-Präsidenten Roland Mader voran. Mader nutzte seine guten Kontakte zur Wirtschaft und sprach den damaligen Vorstand der Firma Höchst an. Vorstandsmitglied Erhard Bouillon (dessen Töchter spielten Volleyball) war sofort angetan von der Sache und sagte seine Unterstützung zu. Das Volleyball-Internat Frankfurt Höchst – das erste Volleyball-Internat im DVV und das erste Internat im Ballspielsport überhaupt - war aus der Taufe gehoben und fand auch bei der Stiftung Deutsche Sporthilfe sofort Unterstützung. Am 8. November 1983 war die Gründungsversammlung in Frankfurt.
Von nun an lebten die besten männlichen Nachwuchs-Volleyballer Deutschlands in Frankfurt, gingen dort zur Schule und zu Höchst (Ausbildung), trainierten täglich und spielten am Wochenende ihre Wettkämpfe. Alle Anstrengungen hatten das Ziel, gute Ergebnisse mit den Nachwuchs-Nationalmannschaften zu erzielen und den Sprung in die Bundesliga, evt. sogar in die Männer-Nationalmannschaft zu schaffen. Dabei machte den 16-jährigen Spielern insbesondere die Anfangszeit zu schaffen, schließlich hatten sie ihr Elternhaus verlassen und kamen nun mit „lauter Fremden zusammen“, wie Holger Kleinbub, späterer Nationalspieler, heute sagt. Michael Dornheim, ebenfalls langjähriger Nationalspieler, war Mitglied des ersten Internat-Jahrgangs und erinnert sich: „Es hat immer Momente gegeben, wo man sich gefragt hat, was mache ich hier überhaupt. Vor allem das erste halbe Jahr war sehr hart, danach war alles bekannt, und das Training konnte nicht schlimmer werden.“ Schließlich hatten die Internatler nun tag-täglich acht Stunden und mehr mit Schule und Training zu tun. Doch nicht nur die Internatsbewohner mussten sich an das neue Leben gewöhnen, auch die Gegner in den Spielklassen. Günter Hamel, in den ersten Jahren Co-Trainer im Internat erinnert sich: „Der erstmalige Start in der 2. Bundesliga (85/86) stieß bei den Zweitliga-Klubs auf große Skepsis. Etzbach provozierte im ersten Spiel mit einer vorgegeben Verletzung einen Spielabbruch und appellierte an alle anderen Zweitligisten, die Spiele gegen das Internat zu boykottieren. Zum Glück wendete sich alles zum Guten.“ Diese Einstellung gegenüber dem Internat hat sich bei den anderen Mannschaften vollkommen gewandelt. Heute ist das Internat als gleichwertiger und gleichberechtigter Gegner voll akzeptiert.
Doch galt es in den 20 Jahren auch weitere Probleme zu bewältigen: 1992 drohte das „Aus“, als die Firma Höchst den Ausstieg bekannt gab. Die Zimmer würden von den eigenen Auszubildenden benötigt, lautete die Begründung. Sicherlich spielte auch das Ausscheiden des Vorstandsmitglieds und großen Befürworters Bouillon eine Rolle.
Dem DVV und den Nachwuchs-Volleyballer stand in dieser Zeit das Glück zur Seite: Der Deutsche Turnerbund hatte in der Otto-Fleck-Schneise gerade ein Haus für den Turnnachwuchs gebaut, das Dach war schon drauf. Dieses wurde kurzfristig abgenommen und das Haus um zwei Stockwerke erhöht. Die Internatler hatten eine neue Heimat. Die Gelder, die zuvor die Firma Höchst getragen hatte (bis zu 200.000 DM/Jahr für das mietfreie Wohnen und die Verpflegung), wurden zum einen durch die Eltern, durch das mietfreie Wohnen, Sponsoren wie den Sparkassen und Giro-Verband Hessen-Thüringen und den DVV, der die Betriebskosten übernahm, aufgefangen.
Mit dem Umzug stellte sich natürlich auch die Frage nach einer neuen Schule. Diese wurde mit der Carl von Weinberg Schule in Goldstein gefunden, die jedoch bis dahin keine Oberstufe hatte. Die Oberstufe wurde eingerichtet, später folgte noch die Berufung zur „Eliteschule des Sports“ – die Volleyballer verrichteten auch in diesem Bereich Pionierarbeit.
Mittlerweile ist die Ausnahmestellung des Frankfurter Internats nicht mehr gegeben. Der Bundesleistungsstützpunkt in Berlin sowie ein Internat in Kempfenhausen bilden ebenfalls junge Volleyballer aus. Und auch die Bedingungen haben sich in Frankfurt geändert. „Damals konnten wir in der Ballspielhalle trainieren, wann wir wollten, heute ist es schwierig, gute Trainingszeiten zu bekommen“, meint Hamel kritisch. Und auch die „Belohnung“ für herausragende Leistungen haben sich gewandelt. 1984 wurde die Junioren-Nationalmannschaft, die sich zum überwiegenden Teil aus Internatlern zusammensetzte, für ihre starken Leistungen bei EM und WM zu den Olympischen Spielen nach Los Angeles eingeladen. Heute gibt es Kaffee und Kuchen sowie eine Ansprache des Präsidenten...
Die letzte Veränderung für das Internat Frankfurt war eine sport-politische Sensation: Die Junioren-Nationalmannschaft des DVV spielte – dank der Zustimmung der Liga - in der Saison 2002/2003 in der 1. Bundesliga mit. Fünf Frankfurter Jungs mussten dazu einen erneuten Umzug bewerkstelligen und nach Berlin ziehen. Die Bilanz mit vier Siegen in der Eliteliga sowie dem hervorragenden internationalen Abschneiden des Jahrgangs fiel für das VIF hervorragend aus, aber er ging auch mit einem große Aderlass an Spielern einher.
Trotz aller Widrigkeiten hat sich das Volleyball-Internat Frankfurt über die Jahre behauptet. Und im DVV ist die Erkenntnis da, „dass es ohne eine solche spezielle Einrichtung nicht geht. Und da in Frankfurt die soziale Komponente mit der „Rundumbetreuung“ am besten ist, wird es das Internat auch in Zukunft geben“, so DVV-Generalsekretär Lutz Endlich. Dies wäre auch im Sinn der ehemaligen Internatler wie Holger Kleinbub, Christian Pampel oder Jochen Schöps, die alle sagen: „Ich würde es sofort wieder machen!“
Statistik Volleyball-Internat Frankfurt
Die größten Erfolge mit Beteiligung von Frankfurter Internatlern
- 3. Platz Junioren-EM 1986
- 4. Platz Junioren-WM 1987
- 3. Platz Junioren-EM 1990
- 4. Platz Männer-EM 1991
- 4. Platz Männer-EM 1993
- 2. Platz Jugend-EM 1999
- 3. Platz Olympische Spiele Sydney 2000 (Axel Hager)
- 3. Platz Junioren-EM 2002
- 8. Platz Junioren-WM 2003
- 7. Platz Männer-EM 2003
Die bekanntesten Frankfurter Internatler und deren größte Erfolge
- Michael Dornheim, mehrfacher Nationalspieler, 2x 4. Platz EM, mehrfacher Deutscher Meister und Pokalsieger, Volleyballer des Jahres 1993
- Bernhard Hoffmann, Deutscher Meister in Halle und Beach, mehrfacher Nationalspieler
- Axel Hager, Olympia-Bronze 2000, mehrfacher Deutscher Beach-Volleyballmeister, Beach-Volleyballer des Jahres 1996-1999
- Holger Kleinbub, mehrfacher Deutscher Meister und Pokalsieger, Volleyballer des Jahres 2000, mehrfacher Nationalspieler
- Egar Krank, mehrfacher Nationalspieler
- Andreas Böttcher, mehrfacher Deutscher Meister und Pokalsieger, mehrfacher Nationalspieler
- Christian Pampel, mehrfacher Deutscher Meister und Pokalsieger, mehrfacher Nationalspieler
- Till Lieber, Nationalspieler
- Georg Wiebel, mehrfacher Nationalspieler, mehrfacher Belgischer Meister und Pokalsieger
- Jochen Schöps, Bonzemedaille Junioren-EM 2002, Nationalspieler
Trainer
- Wlodek Macekiewicz (1983-1987)
- Dai Hee Park (1985-1988)
- Peter Götz (1988-1989)
- Günter Hamel und Andreas Meusel (1989-1996)
- Bernd Schlesinger und Volkmar Hauff (1996-2001)
- Jürgen Schreier (2002-2003)
- Stewart Bernard (seit 2003)
Vorsitzende
- Björn Christian Stein (1983-2002)
- Klaus Philippsen (seit 2002)
Schulen/Ausbildung
- 1983 – 1992: Main-Taunus Schule Hofheim, Gesamtschule am Rosenberg, Höchst für Azubis
- seit 1992: Carl-von-Weinberg-Schule, Eliteschule des Sports
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Das sagen ehemalige Internatler rückblichend
- Christian Pampel: „Es war eine Klassesache, und ich würde es sofort wieder machen. Speziell am Anfang war es für mich klasse, da ich sonst keine Möglichkeiten gehabt hätte, höherklassig zu spielen. Das Zusammensein mit „Verrückten“ war super. Leute, die sportlich nicht so ehrgeizig sind, müssen und werden mitgezogen. Diese Leute müsste man aussortieren. Das letzte Jahr auf dem Internat war von der sportlichen Leistung nicht so doll. Ich habe die Zeit auf keinen Fall bereut. Ich würde es sofort wieder machen, es kommen ja nicht nur Nulpen raus.“
- Jochen Schöps: Die Zeit war für mich überraschend schön. Ich bin erst ein Jahr später hingegangen und hatte Zweifel, da es auch etwas ganz neues für mich war. Ich bin gut aufgenommen worden und hatte eine schöne Zeit. Schule und Sport sind gut koordiniert. Es ist zu Beginn schwer, von zu Hause weg zu sein, aber der Vorteil, mit Gleichgesinnten zusammen zu sein, ist groß. Es haben sich Freundschaften gebildet. Ich habe die Zeit gar nicht bereut und würde es noch mal machen. Ich würde sogar noch eher nach Berlin wollen, um noch schneller besser zu werden!
- Michael Dornheim: Es war eine harte, aber auch sehr lustige Zeit, es hat mir sehr viel Spaß gemacht. Ohne diese Ausbildung hätte ich nicht Bundesliga und Nationalmannschaft spielen können. Sportlich ist es ideal, den Sport so intensiv auszuüben, alles dreht sich um deinen Sport, alles ist organisiert (Training, Bus-Shuttle zur Schule usw.) Das ist zugleich auch das Problem, weil alles andere zu kurz kommt. Wie immer hat jede Medaille zwei Seiten. Es hat immer Momente gegeben, wo man sich gefragt hat, was mache ich hier überhaupt. Vor allem das erste halbe Jahr war sehr hart, danach war alles bekannt und es konnte nicht schlimmer kommen. Ich kann nicht sagen, ob ich es nochmals machen würde.“
- Holger Kleinbub: Es war sehr positiv prägend – bis heute eigentlich. Und nicht nur sportlich, sondern auch persönlich. Ich hatte immer schon die Idee, so etwas zu machen, eigentlich mit Leichtathletik. Es hängt von der Persönlichkeit ab, ob man zugrunde geht oder nicht. Für mich waren die Spieler zu Beginn alles Fremde, und man musste sich erst zurecht finden. Das letzte Jahr war genial, natürlich auch wegen der EM-Bronzemedaille. Heute kann ich die Dinge, die mich das Internat gelehrt hat auch für den Job nutzen, wo insbesondere Teamgeist gefragt ist. Ich habe die Zeit nie bereut und würde es auf jeden Fall noch mal machen. Ich kann es nur empfehlen!“
Foto: Axel Hager im Volleyball-Internat Frankfurt Höchst 1986