U23-WM (w): "Europa muss aufpassen" – Bundestrainer Jens Tietböhl im Interview

Blickt noch einmal auf die U23-WM in Mexiko zurück: Bundestrainer Jens Tietböhl

Seit etwas mehr als einer Woche ist die erste U23-Weltmeisterschaft Geschichte. Den Weltmeistertitel sicherten sich die Chinesinnen, die das Turnier in Mexiko dominierten und in insgesamt sieben Partien lediglich vier Satzverluste hinnehmen mussten. Aber auch die deutsche Auswahl überzeugte mit einem 8. Platz, der aufgrund einer Vorbereitungszeit von drei Tagen, sehr hoch einzuschätzen ist. Im Interview spricht Bundestrainer Jens Tietböhl über das Erreichte bei der WM, das Lob einer US-Legende und die Zukunft des deutschen Volleyballs in Deutschland.


Herr Tietböhl, wie fällt Ihr Fazit nach dem Erreichen des 8.Platzes bei der U23-Weltmeisterschaft in Mexiko aus?

Jens Tietböhl: „Platz 8 ist für unseren Kader ein ordentliches Ergebnis. Um weiter vorn zu landen, fehlte uns am Ende die Erfahrung und spielerische Reife. Eigentlich waren wir eine U20 Mannschaft und hatten gerade in der Endrunde in Tijuna Probleme, unser Niveau der Vorrunde wieder abzurufen.“

Die WM-Endrunde wurde geschaffen, um – wie im Beach-Volleyball – die Lücke zwischen dem Erwachsenen-Bereich und den Juniorinnen-Bereich zu schließen. Wie bewerten Sie aus Sicht des Bundestrainers die Einführung?

Tietböhl: „Jede erfolgreiche Volleyballnation bastelt an Konzepten, um den Übergang der Top-Juniorinnen zur A-Nationalmannschaft zu verringern. Dazu gehören auch hochklassige Wettkämpfe. Es gibt z.B. eine Universiade oder auch die Euroliga, wo junge Spielerinnen an das Spitzenniveau herangeführt werden sollen. Die Einführung dieser U23 WM ist ein weiteres hochwertiges Turnier, was wir aus meiner Sicht, in unser DVV-Fördersystem gemeinsam mit der Bundesliga aufnehmen sollten. In den letzten Jahren haben wir viele Talente verloren, weil der Sprung aus den Volleyballzentren in die Bundesliga zu groß war. Manche Spielerinnen hatten kaum noch Motivation, gaben auf oder gingen in die USA auf ein College. Damit gehen sie dem deutschen Volleyball verloren. So eine U23-WM könnte für viele deutsche Spielerinnen wieder ein Zielwettkampf sein oder zur sportlichen Perspektive werden. Sie können in der Bundesliga weiter hart trainieren, geduldig an ihrer Kariere arbeiten und mit 22 Jahren eine WM spielen. Kein schlechtes Ziel!“

Wie haben die Spielerinnen die WM gesehen. Eher als Fluch oder Segen?

Tietböhl: „Ich habe mit jeder Spielerin im Vorfeld über diese kurzfristige WM-Chance telefoniert. Alle haben ohne zu zögern zugesagt und zeigten sich mir gegenüber sehr motiviert und interessiert. Diese Begeisterung war auch im gesamten Turnierverlauf zu spüren. Ihre größte Sorge war - in Anbetracht der Bundesligasaison - sich zu verletzen oder krank zurückzukommen.“

Sie haben die Mannschaft in Mexiko als ein „Best of Talents Team“ bezeichnet. Haben Sie denn einige Spielerinnen gesehen, die zeitnah den Sprung in die Auswahl von Giovanni Guidetti schaffen können?

Tietböhl: „Alle 12 WM-Teilnehmer besitzen ein sehr hohes Talentpotential. Wann der Sprung zu Giovanni gelingt, hängt ganz allein von ihrer persönlichen Entwicklung in der Bundesliga ab. Die Motivation, international für Deutschland zu spielen, ist jedenfalls sehr groß! Das hat diese WM auf alle Fälle bewirkt. Jetzt liegt der Ball bei den Spielerinnen. Neun der zwölf Athletinnen könnten 2015 vom Alter her nochmal eine U23 WM spielen.“

Vor dem Turnier hatten Sie nur drei Tage Vorbereitungszeit (Deutschland rückte für Algerien nach Anm. d. Red.), daher blieb Ihnen kaum Zeit, spielerisch etwas zu bewirken. Wie haben Sie es dennoch geschafft, alles aus dieser Mannschaft heraus zu holen, dass sogar Volleyball Legende uns US-Trainer Karch Kiraly ins Schwärmen geriet?

Tietböhl: „Drei Tage Vorbereitung ist wirklich nicht lang. Die Roten Raben aus Vilsbiburg waren als Trainingspartner sehr behilflich, ansonsten haben wir versucht, für eine gute Stimmung im Team zu sorgen. Wir haben viel über die wahnsinnige Leistung unserer Frauen bei der EM gesprochen, Jenny Geerties hat ebenfalls viel über Motivation und Willen des Frauenteams berichtet. Ansonsten wurden alte Geschichten aus der Jugendnationalmannschaft wieder rausgeholt und viel gelacht. Auch wenn wir in Mexiko einige Sätze klar verloren haben, gekämpft hat die Mannschaft immer. Über das Kiraly-Lob fühlten wir uns natürlich sehr geehrt, aber ein 3:2 Sieg gegen die USA wäre mir lieber gewesen.“

In der Endabrechnung haben Sie bei der WM zwei klare Siege gegen Kenia und Kuba gefeiert und in den Partien gegen China und die USA zeitweise auf Augenhöhe agiert. Trotz allem reichte es nicht für einen Sieg gegen die großen Nationen. Woran scheiterte dies?

Tietböhl: „Bei so einem Turnier entscheiden oft Kleinigkeiten oder Nuancen, welchen Weg das Team geht. Ich bin überzeugt davon, dass, wenn wir auf der Zuspielposition ein bisschen mehr Erfahrung gehabt hätten (Denise Imoudu und Irina Kemmsies sind 17 Jahre Anm. d. Red.) sowie auf der so wichtigen Diagonalposition mehr Durchschlagskraft und Effektivität gezeigt hätten, wären wir im Turnier ein Stück weiter nach vorn gekommen.“

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Foto FIVB: Bundestrainer Jens Tietböhl (links) beobachtet genau, wie sich die Kräfteverhältnisse in der Weltspitze verschieben

In welchen Bereichen sehen Sie vor allem die Defizite gegenüber den anderen Nationen, wie zum Beispiel Weltmeister China?

Tietböhl: „Natürlich haben wir noch technische und athletische Defizite gegenüber China oder Brasilien. Das hatte ich erwartet. Aber unsere Mädels waren im Schnitt noch 2-3 Jahre jünger, sie können diese in der nächsten Zeit noch beheben. Unsere beiden "Alten" Saskia Radzuweit und Lisa Gründig können das auch schaffen. Lisa ist ein totaler Quereinsteiger mit vorzüglichen körperlichen und athletischen Parametern, daher bin ich gespannt, wie sie sich in Potsdam weiter entwickelt. Es war für alle wichtig zu sehen, was eine Spielerin aus China, den USA oder Japan in diesem Alter schon alles kann. Und diese Erfahrung nehmen wir mit nach Deutschland.“

Wie könnte man diesen Problemen in der Nachwuchsarbeit entgegenwirken?

Tietböhl: „Ich werde versuchen, mit allen Landestrainern über eine verbesserte Auswahl und Sichtung von Talenten zu reden. Wir bekommen zurzeit einfach zu wenige Spielerinnen in die Hallen der Nachwuchsvereine.“

China wurde Weltmeister, dahinter ordneten sich die Teams aus der Dominikanischen Republik und Japan ein. War das eine Überraschung für Sie, gerade weil Japan mit verhältnismäßig sehr kleinen Spielerinnen angereist ist?

Tietböhl: „Die Spielerinnen aus Japan gleichen seit Jahren ihre körperlichen Defizite durch überragende Technik und Spieldisziplin aus. Auch bei den Frauen hat sich das Land inzwischen im oberen Level positioniert. Europa muss dagegen aufpassen, nicht den Anschluss in der Weltspitze zu verlieren. China hat in diesem Jahr alle FIVB Nachwuchsevents (U18/U20/U23 Anm. d. Red.) gewonnen, dahinter platzieren sich mit den USA, Brasilien, Japan und der Dominikanischen Republik ebenfalls keine europäischen Teams. Dazu haben Nationen wie Peru, Kuba, Thailand oder Puerto Rico große Konzepte entwickelt und angeschoben. Europa hat dagegen keine einzige Medaille bei den Weltmeisterschaften in 2013 gewonnen - das gab es lange nicht mehr!“

Welche Perspektiven sehen Sie für die deutschen Jugend-Nationalmannschaften?

Tietböhl: „In dieser Saison fördern wir die Juniorinnen U19 (Jg. 96/97 Anm. d. Red.) und das Jugendteam U17 (Jg.98/99 Anm. d. Red.). Als Höhepunkte werden 2014 die Europameisterschaft und das Achtnationenturnier gespielt. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir in der Weltrangliste gehörig abgestürzt sind! Die beiden Nichtqualifikationen zur diesjährigen U18-WM und U20-WM taten sehr weh und werden noch große Auswirkungen in den Setzlisten für die nächsten Qualifikationsturniere haben. Ich hoffe, dass sich unsere Kaderspielerinnen in den Bundesstützpunkten gut entwickeln, die Belastung gut gesteuert wird und Verletzungen ausbleiben.“

Was nehmen Sie als Bundestrainer von der WM mit?

Tietböhl: „Jeder Wettbewerb ist eine wertvolle Fortbildung für uns Trainer. Das Spieltempo wird immer schneller, das Angriffsrisiko und Repertoire wird weiter erhöht, das Abwehrhandling immer kompakter, die Eigenfehler werden geringer, die Frauen werden immer größer und athletischer, das Scouting wird immer wichtiger, das Team um das Team immer professioneller!“

Und persönlich?

Tietböhl: „Ein tolles Parfüm, das ich in Mexiko für den Geburtstag meiner Frau gekauft habe, was mir der Zoll am Flughafen in Frankfurt aber gleich wieder abgenommen hat (lacht).

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