VBL: 40 Jahre Volleyball Bundesliga: Geliebt und gehasst
Seit 1977 begleitet das Volleyball-Magazin den deutschen Volleyball. Anlässlich des 40-jährigen Jubiläums der Bundesliga ruft das Fachmagazin noch einmal die größten Momente und witzige Anekdoten aus vier Jahrzehnten Volleyball Bundesliga in Erinnerung. Da die Volleyballabteilung vom SV Lohhof in diesem Jahr ihren 40. Geburtstag feiert, geht es diesmal um die erfolgreichste Lohhofer Volleyballzeit.
Geliebt und gehasst
Vor 35 Jahren machten sich in Bayern Pioniere auf den Weg, um den Frauen-Volleyball in der Bundesrepublik aus dem Dornröschen-Schlaf zu erwecken. Die Protagonisten hießen Roland Mader, Andrzej Niemczyk und Terry Place, fortan spaltete das Modell Lohhof die Szene in Anhänger und Kritiker.
Schlechter kann ein Einstand bei einem neuen Klub, in einer unbekannten Liga und dazu noch in einem fremden Land kaum sein: Den ersten Satz zu null verloren. Das Spiel endete mit 1:3, und der erste Schock war schon mal da. Terry Place befielen Zweifel, ob dieser Wechsel die richtige Entscheidung war. So ist es im Oktober 1980 passiert, als sich die amerikanische Nationalspielerin mit 23 Jahren von Los Angeles auf den Weg nach Lohhof machte und einen Tag nach ihrer Landung in Frankfurt mit ihrem neuen Team in Münster eine herbe Klatsche kassierte. Was zu diesem Zeitpunkt keiner ahnte: Es war der Beginn einer Ära im deutschen Frauen-Volleyball. Fortan hielt das Modell Lohhof die Szene in Atem. Bereits im Vorfeld hatte es jede Menge Ärger gegeben. Es war nur der Auftakt, die Querelen sollten sich auch in den Folgejahren nie ganz legen.
Der Reihe nach: Etwa 15 Kilometer nördlich von München wurde 1975 die Volleyball-Abteilung des SV Lohhof gegründet, mit Sitz und Spielstätte in Unterschleißheim. Mit dem Frauenteam ging es rasant aufwärts, schon 1978 gelang der Aufstieg in die 1. Liga, allerdings hielt sich das Team von Trainer Klaus Drauschke nur ein Jahr im Oberhaus. Zu jener Zeit hieß der Präsident des Deutschen Volleyball-Verbandes (DVV) Roland Mader, der mit seiner Fernseh-System-Gesellschaft (FSG) in unmittelbarer Nachbarschaft zum Klub ansässig war. Das Trio Mader, Drauschke und Abteilungsgründer Manfred Utz überlegte, „wie wir den Frauen-Volleyball, der damals am Boden lag, nach oben bringen können”, erinnert sich Mader. Die Sache sollte über einen Verein laufen, auf den er unbeschränkt Zugriff hatte.
„Es begann die Umsetzung einer Vision, die in Deutschland – wenn nicht sogar in Europa – einzigartig war”, so Drauschke. Allerdings gestaltete sich der Weg dorthin steinig. Per Änderungen der Bundesspielordnung wurde im Sommer 1980 auf einem außerordentlichen Verbandstag des DVV die Aufstockung der 1. Ligen von acht auf zehn Teams beschlossen. Zum Vorteil der Tabellenzweiten der 2. Ligen, was bei den Frauen die Klubs aus Elmschenhagen und Lohhof bevorzugte.
Schon auf dem Verbandstag wetterten Gegner wie der Rüsselsheimer Vertreter Rainer Obmann: „Ich habe den Eindruck, dass man auf einem einzigen Verbandstag sportlich schneller etwas erreichen kann als durch jahrelange Arbeit in der Turnhalle.” Lohhofs Macher setzten davon unbeirrt ihren Weg fort. Mader hatte über seinen Pressesprecher Christian Brandel Kontakt zur Frauen-Nationalmannschaft der USA bekommen, sie in Colorado besucht und dort Arie Selinger kennengelernt. Selinger zeigte Interesse, nach Deutschland zu kommen, der Startrainer war wegen des Boykotts der Olympischen Spiele 1980 in Moskau frustriert und amtsmüde.
Welch ein Deal: Selinger schickte zwei Spielerinnen über den Teich
Mader gelang es, die US-Frauen zu einer Gastspielreise nach Deutschland zu holen. Mit Terry Place im Kader, die so ihrem späteren Mann Christian Brandel näherkommen sollte. Nach der Rückkehr in die USA einigte sich Selinger jedoch mit den Amerikanern auf eine Vertragsverlängerung, stand aber bei Mader noch im Wort, zwei Spielerinnen nach Deutschland zu entsenden. Eine war seine langjährige Mannschaftsführerin Patty Dowdell, die zweite sollte Terry Place werden. „Ich wusste damals nicht, dass sich Arie durch unsere Transfers nach Deutschland aus seinem Vorvertrag mit dem DVV herauskaufen wollte”, erzählt Terry Place, die heute Schättler heißt. Im Oktober 1980 empfing Selinger sie vor einem Training in Colorado City mit den Worten: „Du fliegst morgen nach Deutschland. Ruf Deine Mutter an, sie organisiert gerade Deinen Flug über Los Angeles nach Frankfurt.” Terry Place tat wie ihr geheißen, wurde in Frankfurt von Brandel abgeholt, nach Münster gebracht, wo es am nächsten Tag zum Einstand jenes denkwürdige 0:15 gab.
Die Geschichte der Terry Place ist kurios. Sie zeigt, mit welchen Tricks und Kniffen gekämpft wurde, und wie das Modell von Zufällen lebte. Während Patty Dowdell nach kurzer Zeit aus gesundheitlichen Gründen in die USA zurückkehrte, blieb Terry Place, auch wenn ihr Engagement eigentlich auf drei Monate befristet war. Sie wurde zum Glücksfall und zur Galionsfigur des Projekts. Im Sommer 1981 wollte Selinger sie zurück ins US-Team holen, doch da hatte sich Terry schon doppelt verliebt: In Brandel, den sie 1982 heiratete, und in Lohhof.
Mader holte den Polen Andrzej Niemczyk als Nachfolger für Drauschke, der fortan als Teambetreuer rund um die Uhr im Einsatz war. Niemczyk fuhr ab sofort doppelgleisig: Vereins- und Bundestrainer. „Mader sorgte mit seinem Netzwerk auch für das wirtschaftliche Fundament”, so Drauschke. Sponsoren wie „Puma” oder „Kathrein” sorgten für Sicherheit. Mit dem Etat zwischen 200.000 und 300.000 Mark wurde Lohhof Marktführer. „Damals kam kaum ein Klub auf mehr als 100.000”, sagt Drauschke.
Das aggressive Verhalten des neuen Branchenführers rief natürlich auch viele Kritiker auf den Plan. Die härtesten waren Alfred Berg und dessen Ehefrau Dagmar, die beim VC Schwerte als Chef und als Trainerin das Zepter schwangen. Die Bergs gifteten, wo es nur ging und wollten eine Zeitlang keine Spielerinnen mehr für das Nationalteam abstellen. Als sich Brigitte Tiefenbach beim Spiel in Lohhof verletzte und operiert werden musste, wollte Mader Blumen ins Krankenhaus bringen, doch Berg verriet nicht, wo seine Spielerin lag: „Sie kaufen uns die Spielerinnen doch noch vom Krankenbett weg.”
Drauschke und Terry Place erinnern sich an viele Anfeindungen dieser Art. „Es gab viel Arbeit, viel Ärger und auch viele Enttäuschungen, weil sich einige nicht mit unserem Weg anfreunden konnten”, sagt Drauschke, der heute als Präsident des Bayerischen Volleyball-Verbandes (BVV) fungiert. In Leserbriefen an die deutsche volleyball-zeitschrift (dvz), Vorläufer des Volleyball-Magazins, wurde die Angst formuliert: „Wenn wir nicht aufpassen und daran finanziell zugrunde gehen wollen, dann beginnt jetzt auch bei den Volleyballfrauen das Zeitalter der (ausländischen) Profis.”
Was heute selbstverständlich ist, löste vor 35 Jahren größte Besorgnis aus: „Wir Spielerinnen mussten uns anhören, ob wir die Liga ruinieren wollen”, so Terry Place, „weil wir viel mehr trainiert haben als alle anderen.” Zum Beispiel wollten die Lohhofer, wenn sie zum Auswärtsspiel anreisten, am Morgen vor der Begegnung trainieren. Dieser Standard war in einer Liga, in der reine Amateure agierten, ein Novum.
Auch die 500 Dollar (rund 1.500 Mark), die Terry Place monatlich kassierte, bedeuteten eine neue Dimension. Zusätzlich wurden vom Verein auch noch Kost und Logis übernommen. Mader kaufte ein Reihenhaus in der Unterschleißheimer Stadionstraße, direkt gegenüber des Leistungszentrums. Zwei ehemalige Spielerinnen, Helga Klein und Irmi Wojtalla, betreuten die Profis und die Talente. Der SV Lohhof, der ab 1986 Bayern Lohhof hieß, wurde Vorreiter in Sachen Professionalisierung in einer Sportart, die in der Bundesrepublik bis dato ein lockerer Zeitvertreib ambitionierter Studentinnen war.
Das Modell Lohhof war nicht am Reißbrett geplant
Es war die Zeit der großen Herausforderungen. Das Modell war nicht langfristig am Reißbrett entworfen worden, „vielmehr entwickelte es sich von Tag zu Tag, von Training zu Training, von Spiel zu Spiel weiter”, erinnert sich Mader, Vater des Modells. Auch Niemczyk lernte dazu. Aus seiner Zeit in Polen war er es gewohnt, dass die Spielerinnen maximal die Hälfte von dem machten, was er an Wiederholungen im Kraftraum vorgab. Dank der unermüdlichen Antreiberin Terry Place zogen jedoch in Lohhof alle voll mit. Für den Profi aus den USA war es ein Horror, wenn Spielerinnen nicht bereit waren, Bälle einzusammeln, oder dass sie das Training unterbrachen, um Besucher in der Halle zu begrüßen. „Ich bin ständig ausgeflippt.” Die Leaderin marschierte voran, der Rest folgte. Mit den sportlichen Erfolgen wuchs auch außerhalb von Lohhof die Akzeptanz gegenüber dem Modell. 1981 feierte der Klub mit dem Gewinn des CEV-Cups den ersten Titel. Es folgten sechs Meisterschaften und vier Siege im DVV-Pokal. Lohhof war die Macht, zwei Jahre lang verlor die Mannschaft in Deutschland kein Pflichtspiel.
Der Bayern-Effekt: „Am liebsten wollten sie uns killen”
Der Klub blieb aber auch ein Feindbild: „Jeder wollte uns schlagen, am liebsten sogar killen”, sagt Terry Place. Es war der ganz normale „Bayern-München-Effekt – gegen die will auch jeder gewinnen”. Der USC Münster, seiner einstigen Vorherrschaft beraubt, bekannte sich 1982 zum amüsanten Saisonziel „Deutscher Amateurmeister”. Ein Vorhaben, das mit Rang zwei hinter Lohhof erreicht wurde.
Während in der Szene weiter kontrovers diskutiert wurde, erreichte das Modell Lohhof eine beachtliche Medienwirkung. Geschichten im „Spiegel” und im „Stern”, die sich bis dato nie für Volleyball interessiert hatten, wurden veröffentlicht. Trainer und Spielerinnen wurden in das „Aktuelle Sportstudio” eingeladen, über die Bundesliga wurde in ARD und ZDF berichtet. „Es war mein Ziel, Volleyball in die Öffentlichkeit zu bringen”, sagt Mader. Auch das Nationalteam profitierte davon: Lohhof wurde Ausgangspunkt für den Aufstieg der DVV-Auswahl.
1984 durfte sie als Nachrücker bei den Olympischen Spielen in Los Angeles mitspielen, mehr als die Hälfte der Spielerinnen kamen aus Lohhof. Terry Place-Brandel, die seit dem 3. September 1982 Deutsche war, lief in der Heimat für ihr neues Land auf. Für sie war es ein besonderes Spiel, als es in der Vorrunde gegen den späteren Silbermedaillen-Gewinner aus den USA ein 0:3 gab.
Viele Jahre blieb Lohhof der wichtigste Lieferant für das DVV-Team. Allerdings gab es inzwischen Nachahmer. Niemczyks Co-Trainer Matthias Eichinger wechselte 1984 nach Feuerbach und nahm seine Lebensgefährtin Renate Riek gleich mit. Die Schwaben wurden die neuen Rivalen der Bayern.
Als in Feuerbach Lohhof 2.0 antrat, gab es endlich Konkurrenz
So, wie es sich Mader gewünscht hatte: „Wir wollten ja mehr Konkurrenz. Und Eichinger hatte bei uns so viel gelernt, dass er Feuerbach zum eigenen Produkt machen konnte.” Zwischen 1982 und 1991 teilten München und Stuttgart die Meisterschaften zwischen sich auf, nur Augsburg grätschte einmal dazwischen.
Ende der 80-er Jahre begann Lohhofs Stern zu sinken, Maders Amtszeit als DVV-Präsident endete im Dezember 1990 abrupt, der Geldstrom versickerte. 1995 sagte der Macher Mader in der dvz, er habe sich sein Projekt 1,5 Millionen Mark kosten lassen.
1990 verließ Niemczyk den Klub und ging zu den Männern des SCC Berlin. Die guten Zeiten waren vorbei, 1995 stieg der Verein ab. Terry Place-Brandel und Gudrun Witte hörten auf, es folgte die Insolvenz. Zwar gelang 2009 über die Regionalliga und die 2. Liga die Rückkehr ins Oberhaus, jedoch nur als Mitläufer mit kleinem Budget. Erst am letzten Spieltag gelang dem Absteiger ein Sieg. Aktuell ist Lohhof Vierter der 2. Liga Süd.
Von der guten alten Zeit ist außer Erinnerungen wenig geblieben. Einige der alten Hasen wie Terry Schättler, Gudrun Witte, Renate Riek, Almut Kemperdieck und Siegrid Niemczyk treffen sich jährlich bei Senioren-Meisterschaften wieder. Andrzej Niemczyk (71) führte die Frauen seines Landes zweimal zum EM-Titel. Er kämpft seit 17 Jahren gegen Lymphdrüsen-Krebs an, bislang hat er sich nicht unterkriegen lassen. Der Trainer aus Leidenschaft lebt in Polen und arbeitet als TV-Kommentator. Roland Mader lebt in Düren und ist Ehrenpräsident des DVV. Sie alle waren Protagonisten einer ebenso spannenden wie prägenden Ära. Terry Schättler, die heute als Physiotherapeutin arbeitet und in Halbergmoos lebt, sagt: „Ich würde es immer wieder so machen.” Auch Roland Mader hat den Weg nicht bereut: „Es war die beste Aktion, die wir machen konnten, um Frauenvolleyball zu pushen.”
Die Lohhofer Bilanz in den 80-ern
Sechsmal Deutscher Meister: 1982, 1983, 1984, 1986, 1987, 1988
Viermal Pokalsieger: 1982, 1983, 1984, 1986
Einmal Gewinner CEV-Pokal: 1981
(Klaus Wegener / Volleyball-Magazin)
Diese Geschichte und viele andere Berichte finden Sie in der aktuellen Ausgabe des Volleyball-Magazins (02.2015), das im gut sortierten Zeitschriftenhandel und beim Philippka-Sportverlag erhältlich ist. Das nächste Volleyball-Magazin erscheint am 26. Februar. Darin wird es in der Rubrik „40 Jahre Bundesliga“ die Geschichte mit dem Arbeitstitel „Die größten Ären in 40 Jahren Volleyball Bundesliga“ geben.